Angst siegt über Hoffnung

Von Redaktion · · 2016/11

Warum das Friedensabkommen in Kolumbien überraschend von einer knappen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurde, analysiert Ulrike Lunacek.

Hätten die Kinder abgestimmt, das Ja hätte gewonnen. Hätte Hurrikan Matthew einen Tag später gewütet oder hätte sich die Kirche in Kolumbien – so wie Papst Franziskus – lautstark für das Ja ausgesprochen, das Ja hätte gewonnen. Und hätte Präsident Juan Manuel Santos den Friedensnobelpreis eine Woche früher bekommen, ebenso. Doch kein „Was-wäre-wenn“ nützt.

Es war für alle unerwartet: Die Nein-SagerInnen rund um Ex-Präsident und Großgrundbesitzer Álvaro Uribe haben in Kolumbien der großen Hoffnung auf ein Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen nach mehr als 50 Jahren ein vorläufiges Ende gesetzt. Sie haben am Abend des 2. Oktober mit einer denkbar knappen Mehrheit von 54.000 Stimmen (bei 35 Millionen Wahlberechtigten) triumphiert und gegen das Friedensabkommen gestimmt. Mehr als 220.000 Tote und mehr als sechs Millionen Vertriebene haben zwar in den von der Gewalt am meisten betroffenen Gebieten das Ja gewinnen lassen, jedoch nicht dort, wo der bewaffnete Konflikt (den Uribe übrigens immer geleugnet hat) in den letzten Jahren kaum mehr wahrgenommen wurde.

Absurde Angst-Mache. Die Nein-Kampagne des Angst-Machens hat über die Hoffnung gesiegt. Angesichts der Wirklichkeit in Kolumbien war es absurde Angst-Mache vor Zuständen wie in Venezuela oder Kuba. Angst-Mache vor frei herumlaufenden Guerilleros, noch dazu mit 5+5 garantierten Kongress- und Senatssitzen für zwei Jahre für die nach der FARC-Waffenabgabe neu zu gründende Partei; Angst-Mache evangelikaler und anderer rechter Gruppen vor der „Gender-Ideologie“, weil starke Frauenrechte im Abkommen verankert sind und parallel zum Abkommen Stimmung gegen (in Kolumbien legale) gleichgeschlechtliche Partnerschaften und deren mögliches Adoptionsrecht gemacht wurde.

Und jetzt wollen die Uribisten – daran ändert der Friedensnobelpreis zumindest bis zum Schreiben dieser Zeilen nichts – in neuen Verhandlungen alle ihre Bedingungen umgesetzt wissen.

Ulrike Lunacek, Grüne Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Europaparlaments (EP), war Teil einer Ad-hoc-Mission des EP zur Begleitung des Referendums am 2. Oktober. Von 1989-1992 war sie Redakteurin des Südwind-Magazins.

Was nun? Der Friedensnobelpreis stärkt Präsident Santos. Nach der erschütternden Niederlage war Santos am Abend des 2. Oktober mit einer kurzen, Respekt einflößenden Rede an die Öffentlichkeit getreten. Er forderte die FARC auf, den bilateralen Waffenstillstand nicht aufzukündigen, auch er werde dies nicht tun, sondern alle an einen Tisch holen. Auch die FARC-Führung erklärte Selbiges. Auch unsere Delegation des Europaparlaments erklärte, dass die Bemühungen der letzten vier Jahre nicht umsonst gewesen sein dürfen; auch das erstmalige Einbinden von Opferorganisationen und Frauenverbänden darf nicht vergeblich sein. Weiters betonten wir, so wie EU-Außenministerin Federica Mogherini, dass der EU-Sonderbeauftragte weiter arbeiten werde; und dass die Streichung der FARC von der EU-Terrorliste aufrecht bleibe. Auch die Bereitschaft der EU zur weiteren finanziellen Unterstützung des Friedensprozesses betonten wir ungeachtet der Parteizugehörigkeit.

Alle Parteien außer Uribes Centro Democrático folgten Santos’ Ruf zu einer ersten Besprechung am 3. Oktober. Aber auch innerhalb der FARC gibt es jene, die nach dem Scheitern des Ja nicht an ein Abgeben ihrer Waffen denken (wollen). Auch hier wird es an der Überzeugungskraft von FARC-Anführer Timoschenko liegen, die Seinen bei der Stange zu halten. Übrigens: Ich hätte es für sinnvoll erachtet, wenn der Friedensnobelpreis an beide Seiten, d. h. Santos und FARC, verliehen worden wäre.

Widmung. Und ein Letztes: Von meinem früheren Südwind-Redaktionskollegen Werner Hörtner, der leider 2015 viel zu früh verstorben ist, habe ich sehr viel über Kolumbien und andere Teile Lateinamerikas gelernt. Diesen Kommentar widme ich dem Andenken an ihn, der diesen Frieden, so wie alle, die für das Ja gestimmt haben, Zeit seines Lebens engagiert verfochten und leidenschaftlich herbeigesehnt hat.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen